Aktuelles

Fürchtet euch nicht!

Gottesdienst

Gott wohnt unter uns, auch zu den unmöglichsten Zeiten und an den entlegensten Orten: Die Weihnachtspredigt von Superintendent Pistorius online.

 

Fürchtet euch nicht: Vertrauen und Verantwortung in dieser Zeit

 

Predigt über Lukas 2,1-11

in der Christvesper am Heiligen Abend,

24. Dezember 2020,

in der Kreuzkirche zu Bonn                                                                                             Als PDF-Dokument

 

Liebe Gemeinde,

was für eine Zeit!

Heilig Abend 2020. Wir feiern Weihnachten, aber wie? Viele zuhause ohne Kirchgang. Und hier: Fast leere Kreuzkirche. Masken statt offener Gesichter. Abstand und Distanz. Die Großfamilie findet nicht statt. Viele Gottesdienste auch nicht. Viel Trauer und Einsamkeit. Was für eine Zeit?

„Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde.

Und diese Schätzung war die allererste und geschah zur Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war.“ So beginnt die Weihnachtsgeschichte.

Der Evangelist Lukas legt viel Wert darauf, das Kommen Gottes in der Geschichte zu verorten, in konkreter Zeit und an bestimmtem Ort.

Auch wenn es uns schwerfällt, die Angaben historisch zweifelsfrei zu überprüfen und korrekt einzusortieren, so scheint mir doch die Botschaft ohne Zweifel bedeutsam und wichtig: Gott ist kein zeit- und geschichtsloses Sein, kein „unbewegter Beweger“ irgendwann am Anfang, sondern Gott bindet sich an Zeit und Ort und kommt und ist gegenwärtig zu den unmöglichsten Zeiten und an den entlegensten Orten.

II.

Was für eine Zeit: Damals, so erzählt Lukas, erlässt der Kaiser in Rom eine Anordnung, die die Menschen auf den Weg zwingt: Ein jeder dorthin, wo er oder sie geboren ist.

So ist das, mit der Weltpolitik: Irgendwo wird eine Entscheidung getroffen, aber hier und jetzt verändert sie das Leben von Menschen. Ob es denen, die Entscheidungen treffen, immer bewusst ist, was das heißen kann? Wie es sich auswirkt auf das gelebte Leben derjenigen, die es trifft?

Vielleicht würde manche politische Entscheidung anders ausfallen, wenn man die Not, die sie gebiert, an sich heranließe: Die in unbeheizten Zelten im Schlamm sitzenden Flüchtlinge auf den griechischen Inseln etwa oder die zur Arbeit gezwungenen Kinder in Asien; dann müssten die Entscheidungen in der europäischen Flüchtlingspolitik humanitärer sein und das Lieferkettengesetz nicht ewig aufgeschobener Tagesordnungspunkt des Bundeskabinetts.

Verantwortung verschließt nicht die Augen vor den Folgen von Tun und Lassen, von Reden und Entscheiden. Verantwortung ist aber auch nicht nur die Aufgabe von Politikerinnen und Politikern.

Ob es uns immer bewusst ist, dass das, was wir tun oder lassen, niemals nur eine Bedeutung für uns und unser Leben hat, sondern immer - anders geht es gar nicht- immer auch für das Leben der anderen!

Wir sind niemals nur für uns selbst verantwortlich, sondern immer auch den anderen gegenüber.

Wer sich nicht vor dem Corona-Virus schützt, muss im Blick haben, dass er es sein könnte, der Pflegerinnen und Pfleger an die Grenze der Belastbarkeit führt und der möglicherweise ein Beatmungsgerät benötigt, das einem anderen fehlen könnte. So banal ist das.

Und wir können es weit über Corona hinaus weiterbuchstabieren: Unser Konsum hier, ist nicht nur unsere Freude, sondern die Last, die wir anderen, im Übrigen auch unseren Kindern, aufbürden.

Das Gebot des Kaisers Augustus ist so gesehen nur die mit expliziter Macht und Herrschaft versehene Variante der Spielregeln des sozialen Lebens und der Verkettung und Vernetzung von Menschen und Völkern. Es sollte uns sensibilisieren auch für die impliziten Strukturen von Macht und Herrschaft, an denen wir teilhaben.

III.

Das Gebot des Kaisers prägt die Zeit: Menschen müssen auf den Weg, werden zu Reisenden wider Willen. Nach den persönlichen Umständen wird nicht gefragt. Individuell können Anordnungen nicht sein. Und so muss auch die Schwangere sich auf den Weg machen.

Es begab sich aber zu der Zeit: als Menschen über Menschen verfügten, als die Fremdbestimmtheit unseres Menschseins erfahrbar wurde, das Gezwungen-Sein zu tun, was ich nicht will, es begab sich in dieser Zeit, da kommt Gott zu Welt!

Nicht zeitlos, sondern in der Zeit. Unter besonderen Umständen. An bestimmtem Ort.

Liebe Gemeinde, das Johannesevangelium formuliert es so: „Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns…“ In dem Gott Mensch wird, kommt er zu uns Menschen, teilt das Dach über dem Kopf mit uns oder unsere Unbehaustheit in der Welt. Er wohnt unter uns. Dazu braucht er keine Dome, ihm reicht eine Krippe, braucht keine Paläste, ihm genügt der Stall.

IV.

Aber was ist’s mir nütze?

Die Umstände ändern sich ja nicht. Maria und Josef müssen nach der Geburt weiterziehen. Das Gebot des Kaisers ist nicht außer Kraft.

Und auch für uns gilt: Corona wird auch nach Weihnachten, - möglicherweise noch viel schlimmer als zuvor -, unser Leben beherrschen. Das Zeit und Raum sich paradiesisch verändert hätten, ich kann es jedenfalls nicht behaupten.

Was also ist’s nütze?

Vielleicht entdecken wir es weniger im frommen Verharren an der Krippe als draußen auf dem Feld, draußen in unserem alltäglichen Leben und im Kontakt mit anderen und ihrem Leben:

„Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde.“ fährt die Weihnachtsgeschichte fort.

„Und der Engel des Herrn trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr.

Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! – Denn euch ist heute der Heiland geboren!“

Nein, „keine Fata Morgana von Palmen mit weidenden Löwen und sanften Wölfen“[1] und spielenden Kindern am Loch der Natter, sondern Hirten draußen auf dem Feld in ihrem Alltag und der diffusen Lebensangst: „Fürchtet Euch nicht!“

Da, liebe Gemeinde, wo das Leben so ist, wie es ist: Hart, anstrengend, belastend, gewiss auch gefährlich: „Fürchtet euch nicht!“

In dieser Zeit, liebe Gemeinde, vielleicht eine tröstliche und ermutigende Botschaft zugleich: „Fürchtet euch nicht!“

Warum? „Denn euch ist heute der Heiland geboren…“ Gott wohnt mitten unter Euch, ist mit euch in diesem Leben. Und nichts, was immer geschehe, nichts kann euch trennen von der Liebe Gottes, die in Jesus Christus menschlich geworden ist.

Liebe Gemeinde, in diesen Tagen für uns alle, denke ich, ein wichtiges Wort: „Fürchtet Euch nicht!“ Es ist kein Ruf in die Verantwortungslosigkeit, das sollte deutlich geworden sein. Aber ein Ruf, die Angst vor der Angst zu verlieren.

In der Welt haben wir Angst! Und vielleicht in diesen Zeiten mehr als sonst. Und es wäre gut, sie ernstnehmen und sie miteinander ins Gespräch bringen.

Vielleicht müssen wir das in Zukunft viel offener und öfter tun; unsere Ängste weniger hinter Positionen verschanzen, als darüber zu reden, was wir brauchen, um dieses Leben mit Mut und Hoffnung zu gestalten.

In der Welt haben wir Angst. Aber Gott ist in diese Welt gekommen, damit wir die Angst überwinden können und verantwortlich, beherzt, mutig und besonnen zu tun, was getan werden muss. Fürchtet Euch nicht!

Amen.

 

Der Text der Predigt als PDF-Dokument

 


[1] Ich spiele an auf das Gedicht von Marie Luise Kaschnitz, „Auferstehung“.